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Runter-Dummen

In sei­nem neu­es­ten Buch ana­ly­siert Micha­el Win­ter­hoff wie und war­um „Deutsch­land ver­dummt“ (Lese­pro­be bei Goog­le Books). Immer wie­der mal fra­gen mich Außen­ste­hen­de (wie z.B. Eltern oder Jour­na­lis­ten) wie es eigent­lich sein kann, dass Schü­ler immer weni­ger (bzw. nichts mehr) kön­nen und wis­sen und trotz­dem wei­ter­hin gute (bzw. zum Teil immer bes­se­re) Noten bekom­men. Im Fol­gen­den erklä­re ich, wie die­ses Dum­bing Down am Bei­spiel Eng­lisch kon­kret funk­tio­niert. Alle Bestim­mun­gen gel­ten aus­schließ­lich für baye­ri­sche Gym­na­si­en, in ande­ren Bun­des­län­dern läuft es aber natür­lich genau­so bzw. ähnlich. 

Am leich­tes­ten und effek­tivs­ten senkt man Stan­dards bzw. wer­den Schü­ler „bes­ser“, wenn man die Umrech­nungs­ta­bel­len mani­pu­liert „anpasst“. Ab dem Schul­jahr 2018/19 wird in der Ober­stu­fe der „Schwel­len­wert“ für die Note 4 (= 4 Punk­te) von 50% auf 40% und für die Note 5 (= 1 Punkt) von 33% auf 20% gesenkt. Allein durch die­se Maß­nah­me gibt es von einem Tag auf den ande­ren deut­lich weni­ger (sehr) schlech­te Schü­ler. (Quel­le, Anla­ge 2, S. 1)

In den Jahr­gangs­stu­fen 5–10 muss neu­er­dings der Schwel­len­wert für die Note 5 bei „gro­ßen und klei­nen Leis­tungs­er­he­bun­gen“ bei 33% lie­gen, für die Note 4 soll er „spä­tes­tens ab dem drit­ten Lern­jahr“ „in der Regel“ (= immer) bei 50% lie­gen (Quel­le, Anla­ge 2, S. 7). Das bedeu­tet kon­kret, dass ein läp­pi­scher, rein repro­duk­ti­ver Wort­schatz­test neu­er­dings nach einer Umrech­nungs­ta­bel­le bewer­tet wer­den muss, die bis­lang aus­schließ­lich für das Abitur (und Klau­su­ren in der Ober­stu­fe) gegol­ten hat. War man bis­lang der Mei­nung, dass 10 von 20 gewuss­ten Wör­tern noch kei­ne „aus­rei­chen­de“ Leis­tung dar­stel­len, hat man die ent­spre­chen­den Erwar­tun­gen / Kri­te­ri­en nach unten „ange­passt“.

Den größ­ten Anteil an der Ver­dum­mung hat natür­lich die Tat­sa­che, dass im Rah­men von „kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Leis­tungs­er­he­bun­gen“ (abge­se­hen vom „Kol­lo­qui­um“) Wis­sen inzwi­schen völ­lig irrele­vant gewor­den ist und es expli­zit ver­bo­ten ist, Wis­sen abzu­prü­fen. Das führt dazu, dass Schü­ler genau wis­sen, dass sie nichts von all dem, was im „Unter­richt“ als Stoff / Inhalt dran­kommt, jemals „wis­sen“ bzw. repro­du­zie­ren müs­sen. Sie­he dazu die­sen Bei­trag.

Damit sich auch ja kein Leh­rer die­sem Unsinn wider­setzt, muss man in der Ober­stu­fe ab dem Schul­jahr 2018/19 ver­pflich­tend eine Excel-Tabel­le ver­wen­den, die nur noch die Abitur­for­ma­te Hör­ver­ste­hen, Schreib­auf­ga­be (= Ques­ti­on on the text), Text­pro­duk­ti­on (= Com­po­si­ti­on) und Sprach­mitt­lung (= Media­ti­on) vor­sieht. Inwie­fern auch das neue baye­ri­sche Eng­lisch-Abitur (erst­mals 2020) leich­ter wer­den wird, habe ich in die­sem Bei­trag beschrieben. 

Ein wei­te­rer Bei­trag zur Läp­pi­sie­rung ist eine ver­än­der­te Wer­tig­keit von Inhalt zu Spra­che. Wäh­rend bis­lang bei Ques­ti­ons on the text Inhalt und Spra­che gleich gewer­tet / gewich­tet wur­den (5 : 5), darf ab sofort der Inhalt nur noch mit maxi­mal 4 Punk­ten / BEs (und die Spra­che mit 6) gewer­tet wer­den. Die Bot­schaft ist natür­lich: „Es kommt nicht mehr so sehr dar­auf an, was du inhalt­lich schreibst.“ Als Leh­rer hat man ent­spre­chend kaum mehr Mög­lich­kei­ten zu dif­fe­ren­zie­ren, denn 2 von max. 4 Punk­ten ent­spricht ja bereits eine (gera­de noch) aus­rei­chen­den Leistung. 

Es ist auch leicht zu erklä­ren, war­um Schü­ler immer gerin­ge­re Wort­schatz- und Gram­ma­tik­kennt­nis­se haben und sich ent­spre­chend immer schlech­ter aus­drü­cken kön­nen. In der Ober­stu­fe darf (sie­he oben) eh kein Wort­schatz mehr abge­prüft wer­den und in der Mit­tel- und Ober­stu­fe hat man es durch das Ver­bot von „kon­text­frei­en“ Wort­schatz- und Gram­ma­tik­übun­gen (Quel­le, S. 5) so absurd arbeits- und zeit­auf­wän­dig gemacht, einen läp­pi­schen Wort­schatz­test zu erstel­len, dass sich die meis­ten Kol­le­gen die­sen Auf­wand nicht mehr antun und Wort­schatz halt ein­fach nicht mehr schrift­lich abprü­fen. Alles Wei­te­re zu die­sem The­ma in die­sem Bei­trag. Und wenn Wort­schatz bzw. Gram­ma­tik nicht mehr schrift­lich abge­prüft wird, besteht natür­lich auch kein Grund irgend­was zu ler­nen. Für das biss­chen Geschwa­fel im Unter­richt reicht’s alle­mal, bei der Sprach­mitt­lung soll der deut­sche Text ja eh nur „sinn­ge­mäß“ zusam­men­ge­fasst wer­den und einen „Auf­satz“ von 250 Wör­tern kann man auch ohne dif­fe­ren­zier­ten Wort­schatz schrei­ben. Dann bekommt man halt nur 4 oder 4,5 von maxi­mal 6 Punk­ten für Spra­che – egal, für eine Note 3 reicht es meis­tens trotzdem. 

Das Ergeb­nis die­ser gro­tes­ken Bestim­mun­gen sind Ober­stu­fen-Schü­ler bzw. Abitu­ri­en­ten die ernst­haft den­ken, M.L. King habe die Skla­ve­rei abge­schafft, Ame­ri­ka sei viel­leicht im 17. Jahr­hun­dert ent­deckt wor­den und in den USA gäbe es ein House of Lords und auch so eine Art Kanz­ler. Typi­sche Merk­ma­le einer short sto­ry? „No idea“ (dabei hat man es erst vor zwei Wochen bespro­chen). Wor­um geht’s in 1984? „I don’t know.“ Was ist ein Impeach­ment? „???“.

Und auch sprach­lich ist das Niveau häu­fig unter­ir­disch. Unter­schied zwi­schen simp­le und pro­gres­si­ve forms? Kei­ne Ahnung. Indi­rek­te Rede? Häh? Bedin­gungs­sät­ze? Stimmt, da war mal irgendwas …

Der gesell­schaft­li­che Preis für die­se Ahnungs­lo­sig­keit und Dumm­heit ist gewal­tig. Was für ein fol­gen­schwe­rer Irr­tum zu glau­ben, Wis­sen sei in Zukunft ent­behr­lich, ent­schei­dend sei nur noch die „Wis­sen­er­werbs­kom­pe­tenz“ (= wis­sen, wo was steht, wo man etwas fin­det). All die Popu­lis­ten, Lüg­ner, Ver­harm­lo­ser und Rat­ten­fän­ger hät­ten in den letz­ten Jah­ren kei­nen so gro­ßen Erfolg gehabt, wenn der Groß­teil der Men­schen nicht immer düm­mer und damit leich­ter mani­pu­lier­bar gewor­den wäre. Die NS-Zeit nur „ein Vogel­schiss in der Geschich­te“? Wenn ich „auto­nom“ auf mei­ner „Lern­in­sel“ oder in „selbst­be­stimm­ter Frei­ar­beit“ nichts über die NS-Zeit gelernt habe, dann kann ich die­ses Zitat eben nicht bewer­ten bzw. ein­ord­nen. Ein­wan­de­rer sind alle nur „cri­mi­nals, drug dea­lers, rapists“? Wer nichts über die Geschich­te der Ein­wan­de­rung in die USA weiß, glaubt sol­cher Het­ze eher. Donald Trump zeigt uns, wie leicht und effek­tiv man eine dum­me bzw. unwis­sen­de Bevöl­ke­rung mani­pu­lie­ren und auf­het­zen kann.

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Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder?

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Fächerübergreifende Konversation

  1. A.K.

    Jochen, Du hast ja so recht!

  2. Slim

    In Anleh­nung an Goe­thes Zitat oben, fra­ge ich mich, ob es nicht doch noch etwas schreck­li­che­res gibt: „wis­sen­de Untä­tig­keit“…! Wir sind uns die­ser Mise­re bewusst, kön­nen aber recht wenig dage­gen tun, wenn wei­ter sol­che Neue­run­gen top-down beschlos­sen wer­den. Sehr frus­trie­rend das Ganze!
    (Ein Kol­le­ge aus Ba-Wü)

    • Berg

      Der wich­tigs­te Fak­tor fehlt lei­der: Die indi­vi­du­el­le Kom­pe­tenz des Leh­rers und des­sen Fähig­keit, guten und mit­rei­ßen­den Unter­richt zu gestal­ten. Wenn das gege­ben ist, ver­blas­sen die meis­ten ande­ren Fak­to­ren. Daher als Leh­rer: Lie­ber hier mehr reflek­tie­ren als die Grün­de im Sys­tem oder bei den Schü­lern zu suchen.

      • Auch der bes­te Leh­rer bzw. Unter­richt kann gegen die von mir beschrie­be­nen Ent­wick­lun­gen bzw. Bestim­mun­gen nichts aus­rich­ten. Außer man glaubt im Ernst, dass Schüler*innen dem mit­rei­ßen­den Leh­rer zulie­be etwas ler­nen bzw. sich mer­ken. Das gibt es in Ein­zel­fäl­len natür­lich, aber für die Mehr­heit ist das utopisch.

  3. Erwin Gubbel

    Ahem, bei allem Respekt vor die­ser sehr schö­nen Über­sicht über die (auch in Nie­der­sach­sen ähn­lich) ablau­fen­den Pro­zes­se zur ‚Ver­bes­se­rung‘ der Noten soll­te auch auf die­ser Web­site aller­dings prä­zi­se gear­bei­tet wer­den. Das Gauland-‚Zitat‘ ist kei­nes, bzw, falsch zitert. Das soll­te so nicht pas­sie­ren. So lau­te­te es rich­tig: „Ja, wir beken­nen uns zu unse­rer Ver­ant­wor­tung für die 12 Jah­re. Aber, lie­be Freun­de, Hit­ler und die Nazis sind nur ein Vogel­schiss in unse­rer über 1000-jäh­ri­gen Geschich­te.“ Kann man sau­blö­de aus­ge­drückt fin­den, liest sich aber so mit dem immer wie­der nicht mit­zi­tier­ten Satz davor doch schon etwas anders, nicht wahr?
    Vie­le Grü­ße nach Bayer.

    • S. Muehlbach

      @ Vor­red­ner Nein, das kann ich nicht so ste­hen­las­sen. Der „Vogel­schiss“ ist und bleibt eine geschichts­klit­tern­de, übels­te, men­schen­ver­ach­ten­de, volks­ver­dum­men­de Verharmlosung.
      Da liest sich gar nichts „anders“, so wich­tig und rich­tig es grund­sätz­lich ist, Zita­te im Zusam­men­hang zu sehen.
      (Im Übri­gen: Mei­ner per­sön­li­chen Ansicht nach ist Gau­lands Satz über die Ver­ant­wor­tung in mehr als einer Hin­sicht vorgeschoben).

      • Erwin Gubbel

        Tja, was soll ich dazu sagen? Die­ser Kom­men­tar von S. Muehl­bach zeigt eigent­lich genau das Pro­blem auf, dass wir im Moment wohl haben.
        Der Vogel­schiss-Satz wird WIEDER nur iso­liert betrach­tet. Und iso­liert betrach­tet ist der Satz natür­lich auch abso­lu­ter Unfug. Es hilft aber nicht, den vor­an­ge­hen­den Satz igno­rie­ren zu wol­len. Der ist AUCH da.
        Dann ein ‚Argu­ment‘ zu lie­fern, das auf GLAUBEN (‚Mei­ner per­sön­li­chen Ansicht‘) ohne jede sach­li­che Begrün­dung basiert, lässt mich rat­los zurück. Ich emp­feh­le Ihnen, sich die gan­ze Rede ein­mal anzu­schau­en. Sape­re Aude!
        PS: Die­ses Aus-Dem-Kon­text-Rei­ßen ist übri­gens nicht auf eine bestimm­te poli­ti­sche Rich­tung beschränkt. Das aktu­el­le Riex­in­ger-Zitat dürf­te ähn­lich gela­gert sein … Leu­te immer wie­der nach dem Mot­to „Der hat aber gesagt, dass …“ zu dis­kre­di­tie­ren, führt uns auf Dau­er wohl in den Kin­der­gar­ten der gesell­schaft­li­chen Spal­tung zurück – nur haben wir bei ‚erwach­se­nen‘ Men­schen kei­nen Kin­der­gar­ten­grup­pen­lei­ter der effek­tiv dazwi­schen­ge­hen kann.
        PPS: Die Ein­las­sung von Ger­hard Graus­lig ver­ste­he ich nicht. Die Meta­pher ist mir offen­bar zu hoch.

    • Gerhard Grauslig

      Nicht wahr!

      Der Gau­land­sche Satz ist eine, die Geschich­te rela­ti­vie­ren­de Form von „Es tut mir leid, dass ich das Haus abge­brannt habe, dafür habe ich aber vor­her auch immer die Trep­pe gewischt.“

  4. Hiltrud Hartmann

    Dei­ne gesam­te Sei­te ist lobens­wert. Hut ab!

  5. greg samsa

    Es ist nur ein­mal im Kom­men­tar ange­spro­chen wor­den. Die Kom­pe­tenz von Lehrern.

    Schau­en wir doch mal im Ausland:
    https://www.sueddeutsche.de/karriere/doku-soap-das-schwedische-experiment‑1.581380

    Fra­gen wir doch mal die Kunden:
    https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/deutschland-schueler-halten-lehrkraefte-fuer-digitale-anfaenger-a-1300056.html

    Die Nach­fol­ger der Leh­rer beschwe­ren sich hier. Aller­dings habe ich vie­le Semes­ter Mathe-Vor­le­sun­gen gehört und bereits Mit­te der Acht­zi­ger konn­ten Pro­fes­so­ren nur die vier Grund­re­chen­ar­ten vor­aus­set­zen. Nach mei­nem End­ruck haben Mathe- Vor­le­sun­gen jedoch sowie­so wenig bis nichts mit der Mathe vom Gym­na­si­um zu tun, aber ich hat­te auch einen äußerst beschis­se­nen Mathe Leh­rer, der neben­her fünf Fir­men gleich­zei­tig auf­mach­te. Ein ande­rer Mathe Leh­rer des Gym­na­si­ums hat spä­ter (neben Leh­rer zu sein) mit mir ange­fan­gen zu stu­die­ren und wol­le, dass ich ihm alle Vor­le­sun­gen für ein Bier kopiere. 

    https://www.tagesspiegel.de/wissen/brandbrief-gegen-bildungsstandards-der-aufstand-der-mathelehrer/19550928.html

    Als Sprach­leh­rer (Eng­lisch Spa­nisch) am Gym­na­si­um ist man Auto­di­dakt oder macht Tür­schwel­len-Päd­ago­gik. Den Witz habe ich von einer Leh­re­rin. Den ver­ste­hen Nicht-Leh­rer gar nicht. 

    Übri­gens: Wo und wie wer­den denn Leh­rer bewertet?

  6. Obucate

    Ich lege zu die­sem lesens­wer­ten Bei­trag noch den Leit­fa­den des ISB zur Erstel­lung von Leis­tungs­er­he­bun­gen (https://www.isb.bayern.de/download/21318/leitfaden_leistungserhebungen_oberstufe_19_10_2018.pdf) dazu:
    Die neu­en Ober­stu­fen­klau­su­ren sol­len i.d.R. nur noch zwei Prü­fungs­tei­le umfas­sen und selbst bei Auf­ga­ben zum Text­ver­ste­hen wer­den die Anzahl der Fra­gen und deren Ope­ra­to­ren-Ebe­ne, sowie die Län­ge der Aus­gangs­tex­te vorgegeben.
    Im Ver­gleich zu mei­nen „alten“ Klau­su­ren ist die­ses Vor­ge­hen doch recht „ent­ge­gen­kom­mend“.

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