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Murksmittlung

Nicht nur, dass die Media­ti­on (zumin­dest so, wie sie in Bay­ern gemacht wird) im „rich­ti­gen Leben“ prak­tisch kei­ner­lei Bedeu­tung hat, sie ist dar­über­hin­aus auch noch sehr schwie­rig zu bewerten. 

Der Grad der Kom­pri­mie­rung ist völ­lig unklar. Selbst eine Vor­ga­be (wie in Bay­ern „unge­fähr 250 Wör­ter“) hilft dem Schü­ler meis­tens nicht zu ent­schei­den, wel­che Infor­ma­tio­nen bzw. Details jetzt „rele­vant“ sind und wel­che nicht. Dazu müss­te er schon zu Beginn sei­ner Arbeit über­bli­cken kön­nen, wel­che Informationen/Details er her­aus­zieht und wel­che er weg­lässt, um am Ende auf die gefor­der­te Wort­zahl zu kommen.

Ich möch­te das Pro­blem mal anhand eines ein­zel­nen Absat­zes dar­stel­len (es geht um die Ein­füh­rung der „Time­line“ bei Facebook):

Nie­mals zuvor hat es einen wei­ter rei­chen­den Ver­such gege­ben, den glä­ser­nen Men­schen zu schaf­fen. Bereits heu­te laden die Nut­zer täg­lich 250 Mil­lio­nen Bil­der auf Face­book hoch, mehr als die Hälf­te die­ser Men­schen ver­wen­den die Web­sei­te täg­lich. Vie­le von ihnen syn­chro­ni­sie­ren bereits heu­te frei­wil­lig ihr digi­ta­les Face­book-Pro­fil im Minu­ten­takt mit ihrem rea­len Leben, indem sie zum Bei­spiel auto­ma­ti­siert ver­öf­fent­li­chen, wo sie sich gera­de befin­den. Die chro­no­lo­gi­sche Über­sicht macht das Leben der Nut­zer trans­pa­ren­ter, als es ohne­hin war: Etwa für Face­books Wer­be­kun­den, die den dort regis­trier­ten Men­schen stets das Pro­dukt anbie­ten kön­nen, das sie gera­de angeb­lich benö­ti­gen oder – künf­tig dank Time­line – schon ein­mal beses­sen haben.

Wie stark darf/soll ich jetzt kom­pri­mie­ren bzw. wel­che Infor­ma­tio­nen sind wichtig?

  1. Never befo­re has the­re been such a far-rea­ching attempt to crea­te “trans­pa­rent” people.
  2. Never befo­re has the­re been such a far-rea­ching attempt to crea­te “trans­pa­rent” peo­p­le. Today peo­p­le alre­a­dy upload 250 mil­li­on pic­tures every day and con­stant­ly syn­chro­ni­ze their lives vol­un­t­a­ri­ly with Facebook.
  3. Never befo­re has the­re been such a far-rea­ching attempt to crea­te “trans­pa­rent” peo­p­le. Today peo­p­le alre­a­dy upload 250 mil­li­on pic­tures every day and con­stant­ly syn­chro­ni­ze their lives vol­un­t­a­ri­ly with Face­book, e.g. by dis­play­ing auto­ma­ti­cal­ly whe­re they are.
  4. Never befo­re has the­re been such a far-rea­ching attempt to crea­te “trans­pa­rent” peo­p­le. Today peo­p­le alre­a­dy upload 250 mil­li­on pic­tures every day and con­stant­ly syn­chro­ni­ze their lives vol­un­t­a­ri­ly with Face­book, e.g. by dis­play­ing auto­ma­ti­cal­ly whe­re they are. For adver­ti­sers it will beco­me easier to pre­sent pro­ducts that they alle­gedly need or have alre­a­dy owned in the past.

Wel­che Fas­sung, d.h. wel­cher Grad an Kom­pri­mie­rung ist jetzt rich­tig? Sind Details wie „250 mil­li­on pic­tures“ wich­tig oder nicht? Soll der Schü­ler nur „upload a huge num­ber of pic­tures“ schrei­ben und wenn ja, war­um soll die vage Anga­be bes­ser sein als die exak­te Zahl? Ist „pre­sent pro­ducts that they alle­gedly need“ jetzt schon – igitt – „über­setzt“ oder noch „gemit­telt“? Darf der Schü­ler Kern­aus­sa­gen wört­lich über­set­zen oder muss er immer para­phra­sie­ren? Wenn ja, war­um? War­um darf er z.B. alle­gedly nicht ver­wen­den, wenn die Para­phra­se viel schlech­ter ist? Fra­gen über Fragen …

Als zwei­tes Bei­spiel ein Absatz aus dem Abitur 2016:

mediation

In dem Ziel­text soll es ganz all­ge­mein um Mickey Maus Hef­te in Deutsch­land gehen. Wie immer soll man sich der „rele­van­ten Infor­ma­tio­nen der deut­schen Text­vor­la­ge bedie­nen“. Ist „unter der Bett­de­cke lesen“ rele­vant? Oder die Auf­la­ge, der rela­tiv hohe Preis oder ist das eher unwich­tig im Ver­gleich zum Vierfarbdruck?

Da kein Mensch kla­re Ant­wor­ten auf o.a. Fra­gen hat, murkst halt jeder so vor sich hin und lässt meis­tens inhalt­lich fast alles gel­ten. Um sich kei­nen Ärger und Pro­tes­te ein­zu­han­deln, beschließt der Leh­rer dann meis­tens, dass  „Auf­ga­ben­stel­lung und Text­ma­te­ri­al voll erfasst“ wur­den und gibt für Inhalt min­des­tens 3 von 4 Punkten.

Völ­lig unklar ist dar­über­hin­aus, wel­che sprach­li­chen bzw. sti­lis­ti­schen Kon­se­quen­zen die berühm­te „kom­mu­ni­ka­ti­ve Ein­bet­tung“ hat. So wie frü­her Sum­ma­ri­ze the fol­lo­wing text in Eng­lish zu ver­lan­gen, wäre ja zu pope­lig, da fehlt der angeb­lich so unge­heu­er wich­ti­ge „Adres­sa­ten- und Situa­ti­ons­be­zug“. Schau­en wir uns mal an, wel­che Adres­sa­ten und Situa­tio­nen wir bis­lang im Abitur hat­ten (The­men gekürzt):

2011: Im Rah­men eines gemein­sa­men Pro­jekts mit Ihrer eng­li­schen Part­ner­schu­le sol­len Sie in eng­li­scher Spra­che dar­über informieren …

2012: Your part­ner school in Bri­tain is doing a pro­ject on gap years. You con­tri­bu­te an artic­le about …

2013: For an inter­na­tio­nal stu­dent work­shop on social pro­jects every par­ti­ci­pant has to wri­te a blog ent­ry about …

2014: Inter­na­tio­na­les Pro­jekt mit einer eng­li­schen Schu­le –  Ver­fas­sen Sie einen Eng­lisch­spra­chi­gen Arti­kel für den Inter­net­auf­tritt des Projekts.

2015: Inter­na­tio­na­les Schul­pro­jekt – Für den Inter­net­auf­tritt ver­fas­sen Sie einen Artikel …

2016: Inter­na­tio­na­ler Comic­sa­lon in Erlan­gen – Erstel­len Sie einen infor­ma­ti­ven Text für das Begleitheft.

Wel­che kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen hat jetzt der „Adres­sa­ten- und Situa­ti­ons­be­zug“ auf den Ziel­text des Schü­lers? Mei­ne Ant­wort: ÜBERHAUPT KEINE. Wie immer soll er in ganz nor­ma­len, „neu­tra­len“ Eng­lisch den Text zusam­men­fas­sen. Da es sich 2013 um einen „inter­na­tio­nal stu­dent work­shop“ han­delt, soll­te auch hier der Blog­ein­trag nicht in infor­mal Eng­lish („Hi guys, I’ve got a super-cool pro­ject …“) abge­fasst sein. Im Abitur spielt der Adres­sa­ten- und Situa­ti­ons­be­zug KEINE ROLLE. Abge­se­hen davon ist es ja auch völ­lig unrea­lis­tisch zu erwar­ten, dass der durch­schnitt­li­che Schü­ler über ein umfang­rei­ches sti­lis­ti­sche Reper­toire ver­fügt, um sei­nen Text an den Adres­sa­ten anzu­pas­sen. Man ist doch froh, wenn er ein­fach rich­ti­ges Eng­lisch schreibt.

Fazit: Weil bei der Media­ti­on alles wischi-waschi ist, murkst jeder halt irgend­wie rum und es gibt vor­sichts­hal­ber nur vie­le Punk­te bzw. gute Noten.

 

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  1. Robert

    Hal­lo Jochen,

    stim­me dir wie meis­tens völ­lig zu. Könn­test du die­se Sachen nicht auch direkt ans Kul­tus­mi­nis­te­ri­um schi­cken? (Falls du das nicht eh schon getan hast.)

    Das bes­te ist aber, dass angeb­lich nicht die Media­ti­on, son­dern die münd­li­che Teil­prü­fung im Abitur abge­schafft wer­den soll.

    Robert

  2. > Das bes­te ist aber, dass angeb­lich nicht die Media­ti­on, son­dern die münd­li­che Teil­prü­fung im Abitur abge­schafft wer­den soll.

    Woher hast du die­se Infor­ma­ti­on? Weißt du Genaue­res? Wann soll die wie­der verschwinden?

    • Philipp

      Das hat Herr MR Gru­ber inzwi­schen schon mehr­fach gesagt. Zuletzt habe ich es auf einer Fort­bil­dung in Dil­lin­gen von ihm per­sön­lich gehört. Das gan­ze ist aller­dings unter Vor­be­halt, da es theo­re­tisch sein könn­te, dass so eine Prü­fung in den bun­des­wei­ten Bil­dungs­stan­dards gefor­dert wird. Dann käme man nicht aus. Ter­min für die abschaf­fung wäre aber so oder so wohl kaum bevor der neue Lehr­plan da ist, also frü­hes­tens beim Abi 2015.

  3. Susann

    Ich applau­die­re hier begeis­tert und könn­te kein Wort weg­strei­chen oder hinzufügen!
    READ THIS, KUMI!

  4. Sabine

    Ich glau­be, ich muss jetzt mal den Advo­ca­tus Dia­bo­li spie­len und die Media­ti­on ver­tei­di­gen. Mir ist sie alle­mal lie­ber als die Ver­si­on, deren Anwen­dungs­cha­rak­ter ja auch mehr als frag­wür­dig war und die vor allem die Deutsch­kennt­nis­se der Schü­le­rin­nen abge­prüft habe. Aller­dings habe ich mich für Schul­auf­ga­ben und zum Üben auf krea­ti­ve­re „Adres­sa­ten- und Situa­ti­ons­be­zü­ge“ ver­legt. Zum Bei­spiel zum The­ma Indien:

    - ein Mini-Inter­view mit einem Rik­scha­fah­rer aus der Brand Eins soll­te in ein Gespräch zwi­schen des­sen Mut­ter und ihrer Freun­din umge­wan­delt wer­den, in dem die Mut­ter den Sohn als gute Par­tie anpreist.
    – ein eben­sol­ches Inter­view mit einem Motor­ra­d­ersatz­tei­le­händ­ler aus Banga­lo­re wur­de zu einem Arti­kel eines welt­rei­sen­den Blog­gers, des­sen Motor­rad dort kaputtging.
    – zwei Tex­te über hei­li­ge Kühe wur­den zu einem Maga­zin­ar­ti­kel für Natio­nal Geo­gra­phic Kids.

    So stellt sich die Fra­ge nach der Kom­pri­mie­rung nicht mehr so drän­gend – ich habe sehr unter­schied­li­che Län­gen akzep­tiert, so lan­ge die rele­van­ten Infor­ma­tio­nen rich­tig aus­ge­siebt wur­den. Außer­dem habe ich mir noch ein Sys­tem über­legt, wie man münd­lich die Media­ti­on üben kann und dabei auch noch Spaß hat. Das hat ganz gut funktioniert. 

    Man muss sich schon Gedan­ken machen über die Trenn­schär­fe bei der Bewer­tung, das ist wahr. Und was da im Abitur dran­kam, war so hoch­gra­dig ärger­lich, dass mir wie üblich die Wor­te fehlen.

  5. > Mir ist sie alle­mal lie­ber als die Ver­si­on, deren Anwen­dungs­cha­rak­ter ja auch mehr als frag­wür­dig war und die vor allem die Deutsch­kennt­nis­se der Schü­le­rin­nen abge­prüft habe.

    OK, das sehe ich genauso. 

    > ein Mini-Inter­view […] soll­te in ein Gespräch 

    Gegen MÜNDLICHE Media­ti­on (sprich Dol­met­schen) habe ich über­haupt nichts, im Gegen­teil, das ist eine m.E. all­tags­na­he und sinn­vol­le Übungsform. 

    Ich las­se mei­ne Schü­ler auch immer wie­der DEUTSCHE Arti­kel auf Eng­lisch zusam­men­fas­sen (manch­mal auch anders­her­um). Mir geht es aus­schließ­lich um schrift­li­che Media­ti­on in Ver­bin­dung mit die­sen an den Haa­ren her­bei­ge­zo­ge­nen Kontextualisierungen.

  6. Sabine

    Oh, die­se Bei­spie­le waren für schrift­li­che Media­tio­nen. Beson­ders bei der Gute-Par­tie-Num­mer haben die Schü­le­rIn­nen sich rich­tig aus­ge­tobt, das kann schon Spass machen.

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