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Wissensgesellschaft?

Bekannt­lich leben wir in einer „Wis­sens­ge­sell­schaft“. Aus­ge­hend von die­sem Begriff könn­te man mei­nen, dass Men­schen – und damit auch Schü­ler – heu­te beson­ders viel, oder zumin­dest mehr als frü­her wis­sen müss­ten. Dies trifft häu­fig jedoch über­haupt nicht zu, im Gegen­teil, oft sol­len sie deut­lich weni­ger wis­sen als früher. 

Neh­men wir als aktu­el­les Bei­spiel die ame­ri­ka­ni­schen mid­term elec­tions. Jeder Ober­stu­fen­leh­rer wird die­se Wah­len wohl als Anlass neh­men das ame­ri­ka­ni­sche Regie­rungs­sys­tem ent­we­der ein­zu­füh­ren oder zumin­dest zu wie­der­ho­len, damit die Schü­ler über­haupt ver­ste­hen, was dort pas­siert. In mei­nem LK habe ich zur Wie­der­ho­lung die Info-Box auf S. 200–201 in Images and Per­spec­ti­ves (IaP) benutzt, für die Ein­füh­rung in mei­ner 11ten das Dia­gramm auf S. 138 in Green Line Ober­stu­fe Bay­ern (GLO).

Schon der ers­te Blick macht klar, dass frü­her dem Schü­ler viel mehr Wis­sen zuge­mu­tet wur­de: Ein­ein­halb Sei­ten mit Text und Dia­gramm in IaP gegen­über knapp einer hal­ben Sei­te Dia­gramm in GLO.

Um zu ver­ste­hen war­um bei den Kon­gress­wah­len auch 37 Sena­to­ren gewählt wur­den, muss man wis­sen, dass sich alle zwei Jah­re jeweils ein Drit­tel von ihnen zur Wie­der­wahl stel­len muss. In IaP erfährt der Schü­ler das und er lernt auch noch, wel­chen Zweck die­ses Ver­fah­ren hat: „This means that the­re is usual­ly a mix­tu­re of expe­ri­en­ced and new­ly elec­ted sena­tors“ (S. 200 rech­te Spalte).

In GLO erfährt er nicht mal wie­vie­le Sena­to­ren es über­haupt gibt, nur dass jeder Staat zwei hat und dass sie eine sechs­jäh­ri­ge Amts­zeit haben. Kein Wort über den Wahl­mo­dus. Auch beim ‚House of Repre­sen­ta­ti­ves‘ schweigt sich GLO dar­über aus, wie­vie­le Abge­ord­ne­te es denn nun über­haupt sind. Die­se Zahl soll­te man m.E. schon wis­sen, denn sonst kann man den repu­bli­ka­ni­schen Zuwachs von über 60 Sit­zen nicht ver­nünf­tig einordnen.

Der Fair­ness hal­ber soll­te an die­ser Stel­le erwähnt wer­den, dass weder New Con­text (abge­se­hen von der Con­text Box auf S. 190) noch Con­text 21 irgend­was zu „Checks and Balan­ces“ bieten.

Ist das bis­her Gesag­te ein unty­pi­sches Bei­spiel? Mei­ner Mei­nung nach nicht. Wis­sen ist bedenk­lich in Ver­ruf gekom­men. Alle Welt und vor allem wir Leh­rer reden die gan­ze Zeit von „Kom­pe­ten­zen“ und tun so (viel­leicht glau­ben es ja eini­ge ganz ernst­haft), als ob die im luft­lee­ren Raum ent­ste­hen und geför­dert wer­den könn­ten. Gleich­zei­tig jam­mern wir, dass die Schü­ler immer weni­ger wis­sen und dadurch auch können.

Ver­la­ge bedie­nen ledig­lich den Markt und wenn GLO Wis­sen immer wie­der nur noch in Form von ver­ein­fa­chen­den Dia­gram­men (unter Ver­zicht auf erläu­tern­den Text) und ato­mi­sier­ten „Fact Files“ anbie­tet, dann nur weil es die Mehr­heit der Kun­den, also WIR, es offen­bar so wollen.

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Die drei Formen der Ignoranz

  1. rip

    Man könn­te ja nun ein­wen­den, dass der moder­ne Schü­ler das Buch nur als eine von meh­re­ren Infor­ma­ti­ons­quel­len sieht. Aber zum Ver­ste­hen leicht nach­schlag­ba­rer Fak­ten (-> Inter­net) muss man erst ein­mal auf die *Idee* kom­men, etwas nach­schla­gen zu wol­len, und man muss in der Lage sein, die gefun­de­nen Details zu gewich­ten und zu ver­knüp­fen. Auch dazu benö­tigt man Kom­pe­ten­zen, die aber geschult und gepflegt sein wol­len. Tem­pus fugit.

    P.S. Zu „Checks and Balan­ces“ s. View­fin­der Spe­cial, p. 234 😉

  2. > P.S. Zu “Checks and Balan­ces” s. View­fin­der Spe­cial, p. 234

    Über die gra­phi­schen Qua­li­tä­ten die­ses Dia­gramms kann man streiten 😉

    „Checks and Balan­ces“ wird sehr aus­führ­lich dar­ge­stellt, zu den ein­zel­nen „bran­ches“ (wie lan­ge sind die „terms“, wie­vie­le Rich­ter, Abge­ord­ne­te, Sena­to­ren gibt es etc.) erfährt man jedoch gar nichts. Da fin­de ich die Kom­bi­na­ti­on, die GLO ver­sucht, besser.

  3. rip

    > gra­phi­schen Qualitäten …

    Da magst du recht haben – aber du hat­test doch expli­zit die feh­len­de Info zu Checks and Balan­ces bemängelt 😉

    Die GLO-Vari­an­te fin­de ich zwar hübsch, aber nicht über­mä­ßig informativ.
    In „The New Sum­mit“, pp. 87–88, ist übri­gens auch viel Information.

  4. Ein paar kur­ze Gedankenfetzen:

    (1) Zwar stimmt es, dass Leh­rer (und Schü­ler) die Ziel­grup­pe eines Schul­bu­ches bil­den, doch über des­sen Zulas­sung ent­schei­det in den meis­ten Bun­des­län­dern noch immer jemand im jewei­li­gen Kultusministerium.

    (2) Viel­leicht soll­te man dem Green-Line-Ober­stu­fe-Anbie­ter Klett mal expli­zit sagen, dass man für den Unter­richt in der Ober­stu­fe ein­fach viel mehr Inhalt erwar­tet, als dies das jewei­li­ge Buch bietet.

    (3) Wäh­rend mei­ner Unter­richts­prak­ti­ka ist mir auf­ge­fal­len, dass selbst Jah­re nach Ein­füh­rung des kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Rah­men­lehr­plans noch immer vie­le Leh­rer über­haupt nicht kom­pe­tenz­ori­en­tiert unter­rich­ten. Für sie sym­bo­li­siert das böse K‑Wort den Nie­der­gang des schu­li­schen Abendlandes.

    (4) Ich bin der Über­zeu­gung, dass sich Wis­sen und Kom­pe­tenz nicht aus­schlie­ßen. Im Gegen­teil: Die Deut­sche Gesell­schaft für Geo­gra­phie hat in ihren Bil­dungs­stan­dards für den Mitt­le­ren Schul­ab­schluss (einen ent­spre­chen­den Stan­dard gibt es von der KMK nicht) expli­zit den Kom­pe­tenz­be­reich Fach­wis­sen inte­griert. Auch jeder ande­re Bereich (Räum­li­che Ori­en­tie­rung, Metho­den, Kom­mu­ni­ka­ti­on, Beur­tei­lung und Hand­lung) ent­hält Wissenskomponenten.

    (5) Man könn­te die SuS auf Grund­la­ge eines zusätz­li­chen Tex­tes und ggf. durch Fra­gen gelenkt (War­um wer­den nur 37 Sena­to­ren neu gewählt?) das GLO-Dia­gramm über­ar­bei­ten las­sen. Eine Grup­pe muss ihr Dia­gramm dann an der Tafeln ent­wi­ckelnd prä­sen­tie­ren. Da hät­te man Wis­sen, Spra­che und Kom­pe­tenz (ein Dia­gramm ent­wi­ckeln und erklä­ren) sinn­voll vereint.

    • TwoEdgedWord

      Zu (5): Hört sich in der Theo­rie her­vor­ra­gend an. In der Pra­xis sieht das aber dann so aus, dass 70% der SuS-Arbei­ten für die Ton­ne sind weil lieb­los hin­ge­rotzt oder schlicht falsch. Natür­lich machen sich die SuS nicht die Arbeit, das bei der Bespre­chung zu ver­bes­sern, es sei denn, der Leh­rer droht an, alles ein­zu­sam­meln und zu beno­ten, was ein aber­wit­zi­ger Zeit­auf­wand ist. Macht er das nicht, kom­men die­se SuS (oder deren Eltern) nach der nächs­ten Klau­sur an und wol­len wis­sen, war­um im Heft fal­sche Sachen ste­hen, so kön­ne man sich ja nicht auf die Klau­sur vor­be­rei­ten. Für eine schlich­te Wie­der­ho­lung ist der zeit­li­che Auf­wand also völ­lig unökonomisch.
      Die rest­li­chen 30% hät­ten auch kei­ne Pro­blem damit, wenn der Leh­rer sagt: Habt bit­te zur nächs­ten Stun­de die rele­van­ten Fak­ten von Sei­te bla bis Sei­te blubb prä­sent. Für die muss man die­sen Metho­den­krams also nicht veranstalten.

      (Ok, ganz so schlimm ist es nicht, aber sol­che Sachen – die ich ja sel­ber auch mache – sind extrem zeit­in­ten­siv und kön­nen eben nur in eini­gen Fäl­len gemacht wer­den, wenn der ver­mu­te­te Ertrag die Inves­ti­ti­on übersteigt.)

      • Ich hat­te es so ver­stan­den, dass Green Line Ober­stu­fe für die erst­ma­li­ge Ein­füh­rung in die The­ma­tik ver­wen­det wird. Dass sich der Auf­wand bei einer puren Wie­der­ho­lung nicht lohnt, da kann ich nur zustimmen.

        Auf der ande­ren Sei­te kann man sich natür­lich auch fra­gen, ob – wenn man eh nur zehn oder fünf­zehn Minu­ten inves­tie­ren möch­te – die Schü­ler die Stun­de mit dem Wis­sen ver­las­sen müs­sen, dass es 100 Sena­to­ren (das ist bei zwei Sena­to­ren pro Staat noch merk­bar) und 435 Abge­ord­ne­te gibt. Zumal vie­le nicht wis­sen, wie vie­le Leu­te im Bun­des­tag sitzen.

        • > Auf der ande­ren Sei­te kann man sich natür­lich auch fragen …

          Ja, ich fin­de das soll­ten sie wis­sen. Denn nur dann kapie­ren sie das raf­fi­e­n­ier­te Sys­tem aus „demo­kra­tisch“ gewähl­tem Reprä­sen­tan­ten­haus und eigent­lich „unde­mo­kra­ti­schem“ Senat (jeder Staat hat zwei Stim­men, egal wie groß die Bevöl­ke­rung ist).

        • Max

          >eigent­lich “unde­mo­kra­ti­schem” Senat (jeder Staat hat zwei
          >Stim­men, egal wie groß die Bevöl­ke­rung ist).

          Eben­so unde­mo­kra­tisch – weil gegen das „one-man-one-vote“-Prinzip – ist übri­gens die Ver­tre­tung der Staa­ten im EU-Par­la­ment, oder die der Bun­des­län­der im Bundesrat.

        • Hm. Wenn man bedenkt, dass in Mon­ta­na auf einen Abge­ord­ne­ten 967.440 Ein­woh­ner kom­men, in Rho­de Island hin­ge­gen 525.394, dann ist das auch nicht son­der­lich demokratisch.

          Quel­le: http://www.datamasher.org/mash-ups/people-representative#table-tab

        • Philipp

          Das mit dem „unde­mo­kra­ti­schen“ lässt sich noch wei­ter spin­nen. Die Wahl­me­tho­de für den US-Prä­si­den­ten ist nach unse­ren Maß­stä­ben wohl noch viel weni­ger demo­kra­tisch. Auch die Wah­len zum bri­ti­schen Unter­haus… etc. Was ist aber dann demo­kra­tisch? Ich wäre mit so einem Urteil eher vor­sich­tig. Ich glau­be näm­lich auch nicht, dass über­mä­ßig vie­le US-Bür­ger mit unse­rer Ein­schät­zung von demo­kra­tisch und unde­mo­kra­tisch ein­ver­stan­den wären – wenn sie über­haupt ver­ste­hen, wovon wir sprechen 😉

    • Max

      [Zitat Juli­us]
      >Für sie sym­bo­li­siert das böse K‑Wort den Niedergang
      >des schu­li­schen Abendlandes.

      In neu­tra­ler Spra­che, statt in SPIEGEL-„Schreibe“:

      Sie (und ICH) sind ein­fach nicht davon über­zeugt, dass der Kom­pe­tenz­an­satz gegen­über dem frü­he­ren Wis­sens-Ansatz eine Ver­bes­se­rung darstellt.

      Wenn Du in ca. 10 Jah­ren erle­ben wirst, wie Kom­pe­ten­zen durch das nächs­te allein-selig­ma­chen­de Rezept ersetzt wer­den, reden wir weiter–über den Zustand des „Abend­lan­des“. 😉

      „Jeder soll nach sei­ner Façon selig wer­den.“ (Fried­rich II.)

      • Kom­pe­ten­zen sind in der Tat kein allein selig machen­de Kon­zept. Und ich gebe dir Recht, Max, dass in schö­ner Regel­mä­ßig­keit die nächs­te Sau durchs Dorf getrie­ben wird.

        Mit dem, was ich schrieb, woll­te ich bloß zum Aus­druck brin­gen, dass für vie­le das Ver­hält­nis zw. Kom­pe­tenz und Wis­sen eine Ent­we­der-oder-Fra­ge ist, ich hin­ge­gen mei­ne, man kann bei­des ver­ei­nen. Als Geo­graf fin­de ich es bei­spiels­wei­se aus­ge­spro­chen wich­tig, dass die Schü­ler die Haupt­stadt jedes euro­päi­schen Lan­des sowie aus­ge­wähl­ter außer­eu­ro­päi­scher Staa­ten im Schlaf nen­nen kön­nen. Bei allen ande­ren Län­dern reicht es mei­nes Erach­tens aus, wenn sie die Haupt­stadt mit­hil­fe des Atlas iden­ti­fi­zie­ren können.

  5. Markus

    Ich stim­me dir zu Jochen, „Wis­sen“ ist etwas das heu­te als selbst­ver­ständ­lich ange­se­hen wird, des­we­gen sol­len wir das „Kön­nen“ ver­mit­teln. Ins­be­son­de­re bei grund­le­gen­dem Fak­ten­wis­sen bewe­gen sich vie­le Schü­ler auf sehr dün­nem Eis, das mer­ke ich beson­ders auch in Erd­kun­de in der Ober­stu­fe. So kor­ri­gie­re ich z.B. gera­de eine Klau­sur in der ich lese: „Irgend­wann wer­den die Zucker­vor­kom­men erschöpft sein.“ …
    Da kann die Betref­fen­de Schü­le­rin nun eine Raum­ana­ly­se durch­füh­ren und ein Dia­gramm aus­le­sen, aber wie Zucker gewon­nen wird weiß sie nicht. Ich fin­de das eben­falls sehr bedenk­lich und ver­su­che allein schon des­we­gen in mei­nem Unter­richt den Schü­lern auch Wis­sen zu vermitteln.
    Das Pro­blem dabei ist dass die Schü­ler die­se bei­den Begrif­fe nicht tren­nen kön­nen, oder zumin­dest nicht immer. Ich mache im Unter­richt eine Raum­ana­ly­se zu Chi­na und die SuS sol­len das Glei­che dann in der Klau­sur z.B. für Indi­en machen, Schü­ler­ant­wort: „Indi­en ham­mer doch gar­net gmacht … oder?“

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