Der fol­gen­de Text ist eine Über­set­zung von “Why we belie­ve tech­ni­que kills emo­ti­on” von Vero­ni­ca Tou­ma­no­va.

Der bes­se­ren Les­bar­keit zulie­be ver­wen­de ich nur männ­li­che For­men (Leh­rer, Schü­ler, Tänzer). 

Wei­te­re Über­set­zun­gen von Vero­ni­cas Essays fin­dest du hier.

Vie­le Leu­te glau­ben, dass man ris­kiert, ein emo­tio­nal distan­zier­ter Tän­zer zu wer­den, wenn man sich zu stark auf Tech­nik kon­zen­triert. Im Tan­go ist das sehr gefähr­lich. Wenn man über jeman­den sagt „Er tanzt tech­nisch nicht sehr gut, aber hat in sei­nem Tanz wun­der­ba­re mensch­li­che Qua­li­tä­ten“ kann das als Kom­pli­ment auf­ge­fasst wer­den. Wenn man jedoch sagt, dass jemand „zu tech­nisch“ und nicht „emo­tio­nal genug“ tanzt, meint man oft, dass der­je­ni­ge nicht ver­stan­den hat, wor­um es im Tan­go in Wahr­heit geht. Offen­bar glau­ben vie­le, dass Tech­nik das Gegen­teil von Emo­ti­on ist. Auf mei­ne Arti­kel, in denen ich die Schwie­rig­kei­ten Tan­go zu ler­nen, dis­ku­tie­re, bekom­me ich oft die Reak­ti­on: „Ja ja, alles schön und gut, aber Tan­go tanzt man mit dem HERZEN und alle Tech­nik der Welt wird dir das nicht beibringen.“

Die Span­nung zwi­schen Tech­nik und Gefühl ist nichts Neu­es, wir ken­nen sie aus vie­len Berei­chen des Lebens, nicht nur beim Tan­go. Bei allen Tanz­for­men bekla­gen sich Leh­rer und Cho­reo­gra­fen über Tän­zer, die so per­fek­tio­nis­tisch sind, dass sie – wie es ein Bal­let­leh­rer ein­mal aus­ge­drückt hat – “in ihre eige­nen Bei­ne ver­liebt sind.” Wenn man sich beim Tan­zen aus­schließ­lich auf den tech­ni­schen Aspekt einer Bewe­gung kon­zen­triert, kann man die­se Bewe­gung nicht mehr „wer­den“ und kann all das, was über die Bewe­gung hin­aus­geht, wie Bewe­gungs­in­ten­ti­on, Erzäh­lung, Bild­lich­keit, Stim­mung, Gefühl, See­le und Lei­den­schaft nicht mehr ausdrücken.

Die­ses Span­nungs­feld zwi­schen Tech­nik und Emo­ti­on ent­steht in ers­ter Linie durch die Art und Wei­se, wie wir kom­ple­xe Fähig­kei­ten meis­tern: Der Lern­pro­zess erfor­dert den Groß­teil unse­rer Auf­merk­sam­keit. Solan­ge man lernt z.B. einen ele­gan­ten Giro zu machen, denkt man als letz­tes an Gefühl. Wir ent­wi­ckeln die­se men­ta­le Ein­stel­lung, die voll­stän­di­ge Kon­zen­tra­ti­on auf die Auf­ga­be erfor­dert, im Rah­men von Unter­richt und Prak­ti­kas. So lan­ge wir noch mit tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten kämp­fen, ten­die­ren wir dazu, etwas zu „machen“ anstatt es zu „wer­den“. Wenn wir, nach­dem wir ein fort­ge­schrit­te­nes Niveau erreicht haben, uns wei­ter­hin auf das „Machen“ kon­zen­trie­ren, wer­den wir nie­mals voll­stän­dig unse­re Bewe­gung „wer­den“ und unser Wesen voll­stän­dig aus­drü­cken können.

Bei jeder Art von Tanz­un­ter­richt for­dern die Leh­rer ihre Schü­ler regel­mä­ßig auf, auf­zu­hö­ren, eine Bewe­gung „aus­zu­füh­ren“ und statt­des­sen ihr gesam­tes Wesen in die Bewe­gung ein­zu­brin­gen. Nur dann kann eine Bewe­gung mehr wer­den als eine kör­per­li­che Hand­lung. In eini­gen Fäl­len muss ein Tän­zer sich qua­si gewalt­sam zwin­gen, sich „gehen zu las­sen“ und etwas „unper­fekt“ zu machen, um es mit ech­ten Gefühl zu machen. Bei jedem Tanz sehen wir uns der­sel­ben Fal­le gegen­über, näm­lich dem Risi­ko, uns zu sehr dar­auf zu kon­zen­trie­ren, den Tanz „aus­zu­füh­ren“, so dass wir ver­ges­sen ihn zu „leben“.

Beim Tan­go wird „tech­nisch“ oft ver­wen­det, um eine Obses­si­on mit kom­pli­zier­ten Schrit­ten oder Bewe­gun­gen zu beschrei­ben. Sich beim „sozia­len“ Tan­go aus­chließ­lich auf Schrit­te und Bewe­gun­gen zu kon­zen­trie­ren, gilt als größt­mög­li­cher Ver­rat, weil man auf die Ver­bin­dung mit dem Part­ner ver­zich­tet und für sich allei­ne tanzt, indem man den ande­ren als Instru­ment miss­braucht. Das ist beim Üben erlaubt, um bes­ser zu wer­den, aber kei­nes­falls in einem sozia­len Kon­text. Auf einer Milon­ga soll­te man mit „Herz und See­le“ tan­zen. Trotz­dem geht es hier nicht um Tech­nik, son­dern um FOKUS. Tech­nik ist ein Werk­zeug, das einem hilft, mög­lichst ele­gant und öko­no­misch zu tan­zen. Erst die­ses unan­ge­streng­te Tan­zen ermög­licht ech­ten Aus­druck von Gefüh­len und lässt einen frei und in Hoch­stim­mung „flie­gen“. Tech­nik gibt einem die Frei­heit des Aus­drucks durch die Frei­heit der Bewe­gung. Was wir „tech­nisch aber gefühl­los“ nen­nen, soll­te genau­er „auf die Bewe­gung fokus­siert“ oder „unver­bun­den“ genannt wer­den, denn wenn wir uns aus­chließ­lich auf die Aus­füh­rung der Bewe­gung kon­zen­trie­ren, ver­lie­ren wir zwangs­läu­fig bis zu einem gewis­sen Grad die Ver­bin­dung zu unse­rem Part­ner, zur Musik, zum Tanz und unse­ren Gefüh­len. Wenn jemand „tech­nisch“ tanzt, heißt das, dass er eine fort­ge­schrit­te­ne Tech­nik hat, nicht das er von Tech­nik beses­sen ist. Alle Tän­zer wün­schen sich im Grun­de „tech­nisch“ zu tan­zen, denn dann bräuch­ten sie nicht mehr dar­an zu denken.

Etwas sehr Inter­es­san­tes pas­siert, wenn jemand, der die gan­ze Zeit ver­sucht hat, etwas per­fekt zu machen, die­sen Fokus auf­gibt und ver­sucht sich bewusst mit der Musik, einen Bild oder einer Bewe­gungs­in­ten­ti­on zu ver­bin­den. Plötz­lich ver­bes­sert sich die tech­ni­sche Qua­li­tät sei­ner Bewe­gung dra­ma­tisch. War­um? Wenn man sich aus­schließ­lich auf die kör­per­li­che Hand­lung kon­zen­triert, ver­nach­läs­sigt man die ande­ren Para­me­ter, die für eine mühe­los getanz­te Bewe­gung not­wen­dig sind wie Musi­ka­li­tät, Bewe­gungs­in­ten­ti­on und Ver­bun­den­heit. Des­we­gen bewe­gen wir uns mecha­nisch mit zu wenig oder zu viel Ener­gie, ent­we­der emo­tio­nal distan­ziert oder bemit­lei­dens­wert über­trie­ben, wenn wir den Fokus zu sehr auf Tech­nik legen.

Aus die­sem Grund sagen Leh­rer so oft, dass „man weich wie eine Kat­ze gehen soll und dabei den Boden mit den Füßen strei­cheln“ soll, anstatt einen dar­an zu erin­nern, dass man „den Fuß erst mit der Fer­se auf­set­zen und dann erst abrol­len“ soll. Bil­dern wer­den beim Tan­zen aus genau die­sem Grund ver­wen­det, um den Fokus zu erwei­tern und ande­re Din­ge wie Musik, Raum, Ener­gie, den Part­ner, Bewe­gungs­in­ten­ti­on und Emo­ti­on zu inte­grie­ren. Des­halb sind Bil­der beim Tan­zen so effek­tiv: Wenn sie zum Punkt kom­men, wird die Bewe­gung sofort VOLLSTÄNDIG. An einem bestimm­ten Punkt muss man sehr wohl die Mecha­nik einer Bewe­gung ver­ste­hen, um die eige­ne Tech­nik auf ein höhe­res Niveau zu brin­gen, aber um über die Mecha­nik hin­aus­zu­ge­hen, braucht man Bil­der und eine Bewe­gungs­in­ten­ti­on. Man braucht dies aber in jedem Sta­di­um, nicht nur wenn die Mecha­nik per­fekt ist, denn die Mecha­nik wird, wie wir gese­hen haben, nie­mals per­fekt sein, wenn das eige­ne Bewusst­sein nicht mehr als Mecha­nik umfasst.

Wenn wir die Art des Tan­zes ver­ste­hen, die sich auf die Bewe­gung fokus­siert, ver­ste­hen wir auch war­um wir sie als Gegen­satz von „Emo­ti­on“ sehen. Im Kon­text des Tan­go beschreibt „Emo­ti­on“ den Grad bis zu dem per­sön­li­che Prä­senz spür­bar und von ande­ren Leu­ten als authen­tisch und offen wahr­ge­nom­men wird, mit ande­ren Wor­ten, ob man bei dem, was man tut, voll­stän­dig prä­sent ist. Wenn man nicht mit den ver­schie­de­nen Aspek­ten des Tan­zes ver­bun­den ist und sich aus­schieß­lich auf die kör­per­li­che Bewe­gung kon­zen­triert, ver­liert man auch die Ver­bin­dung zu sei­nen Gefüh­len. Wir soll­ten Emo­ti­on nicht mit emo­tio­na­len Durch­ein­an­der ver­wech­seln. Ein Über­maß an Gefüh­len stört eher den Tanz, weil man über­wäl­tigt wird. Wir benö­ti­gen Tech­nik, um in der Lage zu sein star­ke Gefüh­le zu spü­ren und zu zei­gen und trotz­dem die Bewe­gun­gen unse­res Kör­pers kon­trol­lie­ren zu kön­nen. Tan­go ist ein Tanz, bei dem die Gefüh­le eher nach innen zum Paar bzw. Part­ner gerich­tet sind als nach außen, selbst bei einer Vor­füh­rung. Beim Tan­go schau­en die Din­ge des­halb ziem­lich oft anders aus als sie sich anfüh­len. Nicht alles was kom­pli­ziert aus­sieht, ist zwangs­läu­fig tech­nisch: Oft ist der unauf­fäl­ligs­te Tän­zer der tech­nisch bes­te. Eben­so ist nicht jeder, der emo­tio­nal expres­siv aus­sieht, wirk­lich prä­sent in der Umar­mung. Oft hat man die inten­sivs­ten Tanz­er­leb­nis­se mit jemand, der eher kühl und distan­ziert aussieht.

Leh­rer wer­den oft dafür kri­ti­siert, dass sie die Leu­te „Tech­nik-fokus­siert“ machen, weil sie so viel Zeit damit ver­brin­gen ihren Schü­lern zu zei­gen, wie man die Schrit­te rich­tig macht. Vie­le Leu­te sind der Mei­nung, dass Ler­nen die authen­ti­sche Ver­bin­dung zum Tan­go zer­stört und dass man bes­ser intui­tiv und gefühls­mä­ßig an ihn her­an­ge­hen soll­te. Wenn du glaubst, dass das dein Weg im Tan­go ist und dass er sich aus­ge­zahlt hat, ist dir wahr­schein­lich nicht bewusst, dass dei­ne Art zu tan­zen zu einem Groß­teil von ande­ren Leu­ten abge­schaut und von ihnen beein­flusst wur­de, bzw. sich an die Bewe­gun­gen dei­ner Part­ner ange­passt hat. Mit ande­ren Wor­ten, es gibt noch einen tech­ni­schen Teil, der schlicht­weg nicht das Ergeb­nis sys­te­ma­ti­schen Ler­nens ist. Man kann nicht viel auf dem Par­kett anstel­len, wenn man sei­nem Part­ner ledig­lich ein gro­ßes Herz (a big cora­zón) bie­ten kann. Tech­nik ist nicht das Pro­blem. Das Pro­blem ist der Glau­be, dass es reicht zu wis­sen wie man sich bewe­gen muss, um gut zu tan­zen oder der Glau­be, dass es reicht ein net­ter Mensch zu sein und zu wis­sen, wie man jemand umarmt, um ein guter Tän­zer zu sein. Nichts von all­dem reicht ALLEIN  aus, um gut zu tan­zen. In Kom­bi­na­ti­on kön­nen sie aber, was ich nach all den Jah­ren immer noch als rei­ne Magie betrach­te, bewirken.

Es gibt noch einen wei­te­ren Grund, war­um wir beim Tan­go so sen­si­bel für die Span­nung zwi­schen Tech­nik und Emo­tio­na­li­tät sind, was der eigent­li­chen Natur des Tan­zes zu tun hat. Einer der Grün­de, war­um vie­le nor­ma­le Tän­zer cho­reo­gra­fier­te Vor­stel­lun­gen nicht mögen ist, dass für sie allein die Tat­sa­che, dass es sich um eine Cho­reo­gra­fie han­delt, den emo­tio­na­len Genuss redu­ziert. Para­do­xer­wei­se kön­nen aber die­sel­ben Zuschau­er von einer Bal­let- oder moder­nen Tanz­vor­füh­rung zu Trä­nen gerührt wer­den, obwohl es sich in bei­den Fäl­len um stren­ge Cho­reo­gra­fien han­delt. Sie kämen nie auf die Idee Barysh­ni­kov tan­zen zu sehen, die Schul­tern zu zucken und zu sagen: „Alles schön und gut, aber das ist eine Cho­reo­gra­fie, die mich emo­tio­nal nicht wirk­lich berührt.“ Beim Tan­go glau­ben wir jedoch, dass die Ver­letz­lich­keit der Tän­zer im Rah­men der voll­stän­di­gen Impro­vi­sa­ti­on tie­fe Gefüh­le und die tie­fe und ganz beson­de­re mensch­li­che Ver­bin­dung her­vor­bringt, die wir als EINZIGARTIGES MERKMAL des Tan­go betrach­ten und die wir ganz beson­ders mit die­sem Tanz asso­zi­ie­ren. In einem gewis­sen Sinn ist Tan­go wie ein Kri­mi: Immer wie­der scheint es so, als ob es die Tän­zer nicht schaf­fen wür­den, aber irgend­wie gelingt es ihnen doch. Beim Tan­go wol­len wir sehen, wie die mensch­li­che Natur sich spon­tan in die­sen Momen­ten größt­mög­li­cher Unsi­cher­heit ver­hält, mit all der dar­aus fol­gen­den Span­nung und Über­ra­schung und sie den­noch mit Bra­vour und Ele­ganz meis­tert. Des­halb mögen wir die Tan­go-Cho­reo­gra­fien am meis­ten, die durch tech­ni­sche Schwie­rig­keit oder star­ke Gefüh­le die­ses Gefühl des Risi­kos und die für den Tan­go so cha­rak­te­ris­ti­sche mensch­li­che Ver­bin­dung hervorrufen.

Letzt­end­lich geht es immer um Ver­bin­dung: Ver­bin­dung mit dir selbst, dei­nen Gefüh­len, dem Tanz, der Musik, dei­nem Part­ner und dem Raum. Ver­bin­dung ist selbst eine Tech­nik und gleich­zei­tig ein mensch­li­cher Fak­tor, des­halb ist es so schwie­rig sie zu erklä­ren und zu unter­rich­ten. Den­noch bleibt sie das wich­tigs­te Merk­mal des Tan­go und macht ihn zu dem, was wir ken­nen und so lei­den­schaft­lich an ihm lie­ben. Ohne Ver­bin­dung sind alle Tech­ni­ken und Gefüh­le die­ser Welt nichts wei­ter als Noten auf einem Stück Papier, die dar­auf war­ten von dir gespielt zu werden.